Vorgeschichte: Das 12.-15. Jahrhundert
Wie der Buddhismus nach Tibet kam
Auch wenn diese Website viel von den dunkleren Seiten des Buddhismus in Tibet – nämlich der Verflechtung von Staat und Religion und den daraus resultierenden Kämpfen zwischen den buddhistischen Schulen im Land – berichtet, sollten die guten Seiten dieser reichen Kultur nicht vergessen werden. Auch für uns ist dies noch heute von unschätzbarem Wert: Im Schutz des Himalaya überdauerten die buddhistischen Schätze und Lehren die Jahrhunderte, die sonst aufgrund der Wirren in anderen buddhistischen Ländern verloren gegangen wären. In Indien selbst führten die muslimischen Invasionen um die erste Jahrtausendwende zu der fast vollständigen Auslöschung des buddhistischen Erbes.
Ursprung der buddhistischen Traditionen in Tibet
Bereits unter König Songtsen Gampo (7. Jh. n. Chr.) kam der Buddhismus auf das tibetische Plateau. König Trisong Detsen lud indische Meister wie Padmasambhava und Shantarakshita im 8. Jahrhundert ins Land ein, den Buddhismus in Tibet zu lehren und zu verankern. In Windeseile breitete sich der Dharma des Buddha in ganz Tibet aus und florierte!
Der nächste König des Landes, Langdarma, zerstörte in seiner nur sechs Jahre dauernden Amtszeit (836–842) viel von dem, was die Meister der Ersten Welle der Übertragung der Alten Schule der Nyingmapas aufgebaut hatten. Im 11. Jahrhundert kam es zu einer Zweiten Welle der Übertragung der Neuen Schulen, Sarma genannt. Meister wie Marpa reisten nach Indien um bei den größten Meistern der Zeit zu lernen, darunter Naropa, dem früheren Dekan der größten und berühmtesten Klosteruniversität Indiens, Nalanda. Der große indische Meister Atīśa Dīpamkāra Śrījñāna (980-1054) kam 1037 ins Land auf dem Dach der Welt und verbreitete in erster Linie die Lehren, aus denen die Kadampa Schule hervorging, in der auch der Kagyü-Meister Gampopa Sönam Rinchen (1079–1153) seine erste Ausbildung bekam. In dieser Zeit breitete sich der Dharma in Tibet erneut stark aus: Überall studierten und vor allem praktizierten Menschen mit großem Engagement und bisweilen vollkommener Selbstaufgabe den Dharma. Gampopa traf später berühmtesten Yogis Tibets, den Marpa Schüler namens Milarepa (1040–1123). Unter seiner Anleitung fand er vollkommene Verwirklichung und begründete die Kagyü-Tradition, deren Lehren er dem ersten Karmapa Düsum Khyenpa übertrug. Dieser sagte vor seinem Tod den Ort seiner Wiedergeburt voraus, die als 2. Karmapa inthronisiert wurde. Damit begründete er bereits im 12. Jahrhundert die erste Linie der bewussten Wiedergeburten. Erst einige Jahrhunderte später gründete einer der prominentestes Vertreter der Kadampa-Schule, Tsongkapa, der bei Karmapa Zuflucht genommen hatte, die Gelukpa-Schule, die auch als „reformierte Schule“ bekannt wurde. Diese bekam mit der Gründung des Klosters Ganden im Jahr 1409 ihren ersten Sitz. Tsongkapas enge Schüler etablierten 1414 und 1419 die weiteren wichtigen Geluk-Klöster Drepung und Sera. Diese drei Klöster wurden im 17. Jahrhundert nach Übernahme der politischen Macht in Tibet durch die Gelukpas zu den „drei Säulen des Staates“, wie man sie oft nannte.
Die Machtsituation in Tibet im 13.-15. Jahrhundert
Während der Regentschaft des berühmten Mongolenkaisers Dschingis Khan wurde sein Land zu einem wichtigen Machtfaktor in Asien. Er einte die mongolischen Stämme und führte siegreich Krieg gegen mehrere benachbarte Völker. Nach der Ernennung zum Großkhan aller Mongolen begann er mit der Eroberung weiterer Gebiete, bis sein Reich im Osten bis an das Japanische und im Westen bis zum Kaspische Meer reichte. Er unterwarf auch den nordöstlichen Teil Tibets, die Region Amdo. Angesichts dieses Expansionsdrangs wurde den Tibetern klar, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis auch die anderen Teile ihres Landes angegriffen würden. Könige[1] verschiedener Tibetischer Provinzen schickten eine Delegation in die Mongolei und unterwarfen sich vorsorglich der Großmacht. Man handelte einen Vertrag aus, der im Gegenzug für das Versprechen seitens der Mongolen, Tibet nicht anzugreifen, tibetische Tributzahlungen an die Mongolei versprach.
Nach dem Tod Dschingis Khans fiel das Reich an Ogedei, der auch noch die restlichen Teile Chinas unterwarf. Das Mongolische Reich reichte also von Europa über Persien bis nach Korea. Neben seinen umfangreichen Eroberungen schien Ogedei jedoch auch noch Zeit für sein Interesse an Spiritualität zu haben: Er lud sowohl Buddhisten, Nestorianische Christen als auch Taoisten in sein Land ein, zu lehren und untereinander zu debattieren.
Nach Ogedeis Tod wurde das Reich unter seinen Nachkommen aufgeteilt. Godan Khan herrschte über die an das besetzte Amdo angrenzenden Regionen. Er kam 1240 mit 30.000 Soldaten nach Tibet, die im Norden Lhasas ihr Lager aufschlugen und brandschatzten. So brannten sie das traditionsreiche Radreng Kloster, das von Atishas Schüler Drontönpa als erstes Kadampa Kloster gegründet worden war und den Gyel Lhakang Tempel nieder. Godan Khan, so ist es überliefert, bedauerte diese Zerstörungen später und wurde Buddhist.
Er lud das Oberhaupt der Sakya-Schule, den Ersten Sakya Pandita Kunga Gyaltsen (1182-1251), an seinen Hof ein und ernannte ihn 1249 zum politischen Führer der Tibeter. Angesichts der mongolischen Übermacht unterzeichnete Sakya Pandita Verträge, in denen er den Mongolen uneingeschränkte Macht in Tibet zugestand. Von nun an mussten die tibetischen Clanchefs von Godan Khan abgesegnet werde. Beamte der Sakyas sollten künftig ihre Arbeit überwachen und dafür sorgen, dass sie ausreichend Steuern für die Mongolen eintrieben.[2] Die Machtverhältnisse ließen den Tibetern keine andere Wahl, als diese neuen Regelungen zu akzeptieren. Nach dem Tod Godans übernahm Kublai Khan, der bereits über Nordchina herrschte, das Machtgebiet Godans. Er rief nach Sakya Panditas Tod dessen Neffe Phagpa an seinen Hof. 1253 wurde Khubilai Pagpas Schüler. Dies wurde zum Vorbild für alle späteren „Lama-Herrscher-Beziehungen“ in asiatischen Ländern. Nach Jahren der Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden mongolischen Stämmen wurde das Reich neu aufgeteilt, Kublai wurde Khan des östlichen Teils des einst geeinten Imperiums, hatte aber auch noch einen gewissen Einfluss auf den persischen Teil des ehemaligen Großreichs, das sein Bruder regierte.
1265 kehrte Pagpa nach Tibet zurück. Er wurde von 6.000 Mongolischen Soldaten begleitet, die Pagpas Einfluss in Tibet absichern sollten und konsolidierten gleichzeitig die mongolische Macht in der nordöstlichen Provinz Amdo, das bereits zu Zeiten Dschingjis Khans überfallen worden war.[3]
1252 hatte Kublai Khan auch den Zweiten Karmapa nach China eingeladen und ihm den spirituellen Ehrentitel Paksi übertragen, unter dem er auch heute noch bekannt ist. Damit begründete der König eine Lehrer-Schüler Beziehung mit den Karmapas, an die auch spätere Karmapas anknüpften. Karmapa achtete aber darauf, nicht mit den Sakyas in Konkurrenz zu treten und strebte keineswegs eine politische Funktion an.
Kublai teilte Tibet in 13 Provinzen auf und ließ sie von den Sakyas regieren, diese Regierungen wurde in den 13 Regionen an Klöster gebunden, was die Vermischung von Politik und Religion noch weiter begünstigte. Der Khan gab Pagpa den Titel „Staatslehrer“. Die Unterstützung seitens Kublais garantierte Pagpa keinesfalls die Macht in ganz Tibet, da die beiden anderen mongolischen Reiche die Pagmodrukpa- und die Drigung-Dynastien West-Tibets unterstützten. Dies wurde in den kommenden Jahren Quelle anhaltender Spannungen.[4] Tibet, das sagenumwobene „verbotene Land“, in das der westlichen Verklärung nach kaum ein Ausländer einen Fuß setzen durfte, war also bereits im Mittelalter machtpolitisch mit seinen Nachbarn verwoben.
Die Drigung-Regierung in West-Tibet bat Hillegii Khan, den mongolischen Herrscher über Persien, um Hilfe, der 1285 entsprochen wurde.[5] Zwei Jahre später holte Pagpa Kublai Khans Truppen ins Land. Man griff West-Tibet 1290 an, Drigung Klöster wurden niedergebrannt, der Drigung Führer festgenommen und bestialisch ermordet. Die einheitliche Herrschaft im Land war – mit Waffengewalt – wieder hergestellt...
Jangtschub Gyaltsen war ein begabter Mönch der Pagmudrupas, die aufgrund der Mongolischen Invasion fast alle Macht verloren hatten. Er praktizierte jahrelang intensiv und wollte eigentlich Mönch werden. Doch sein Tutor erklärte ihm, er habe dazu keinerlei Begabung und ließ ihm eine Ausbildung in Militärtaktik angedeihen. Gyaltsen baute eine Armee auf und schlug die Armee Zentral-Tibets nebst der Mongolen, die im Land verblieben waren. Das Land war verwüstet. Selbst das bereits von Padmasambhava gegründete erste Kloster Tibets, Samye, wurde beschädigt. 1353 wurde Gyaltsen der neue Herrscher Tibets. Und wenn er auch von den Mongolen auch den weltlichen Titel „Tai Situ“ bekam, hatten diese keine wirkliche Macht mehr über Tibet. Bald verloren sie auch die Herrschaft über China, aus dem sie 1368 vertrieben wurden, was den Beginn der Ming Dynastie einleitete.
Das neue chinesische Kaiserhaus hatte, abgesehen vom Tibetischen Buddhismus, und dem Handel mit dem Land, kein sonderliches Interesse an Tibet. Die neuen Machthaber luden weiterhin tibetische Lamas ein. Der Vierte Karmapa, Rölpe Dorje, wurde der wichtigste Lehrer des neuen chinesischen Kaisers.
Die Gelukpas betreten die politische Bühne
Die Zeit friedlicher Koexistenz in Tibet kam mit der Spaltung der Pagmodru-Dynastie zu einem jähen Ende. Der eine Teil der Herrscherfamilie herrschte fortan über Zentral-Tibet, der andere – die Rinpung-Regierung – über Tsang. Ersterer kam unter den Einfluss der neuen Gelukpa-Schule, deren Gründer Tsongkhapa gerade gestorben war. Letzterer folgte den Karma-Kagyüpas. Dies war der Anfang einer politischen Teilung die, wie wir sehen werden, im 17. Jahrhundert mit der Machtübernahme des Fünften Dalai Lama und der Vertreibung des Zehnten Karmapa ihren Höhepunkt fand, aber in gewisser Weise noch bis heute die politische Landschaft der Tibeter mitprägt.
Zu ersten großen Problemen kam es, als die Karma-Kagyü-Schule in Lhasa ein Kolleg, eine Shedra, errichten wollte. Die den Gelukpa nahestehende Regierung in Lhasa genehmigten den Bau aber nur außerhalb der Stadt.
Nach Fertigstellung wurde das Kolleg von Geluk-Mönchen (sic!) angegriffen und vollkommen zerstört, Karmapa entkam nur knapp dem Tode.[6] Der damalige König von Zentral-Tibet wollte die Aggressoren bestrafen[7], doch der Siebte Karmapa Tschödrag Gyamtso (1454-1506) verhinderte dies, indem er verkündete: „Wir erwidern Feinseligkeit mit Güte.“ Die Regierung von Tsang indes hörte nicht auf den hohen Lama, sondern nahm den Vorfall als Vorwand, Zentral-Tibet anzugreifen, die Geluk-Mönche zu vertreiben und von dem jährlichen ihnen ausgesprochen wichtigen Gebets-Festival auszuschließen.[8]
Fußnoten
Die ausführlichen Buchtitel finden Sie in der Rubrik Bibliographie.
[1] Die Reiche dieser „Könige“ waren nicht immer sehr groß, vielleicht wäre es treffender, von Fürsten zu sprechen.
[2] Schaik, Sam van: Tibet – A History, Yale University Press, New Haven and London, 2011, S. 76/77.
[3] Wylie, Turrell: The First Mongol Conquest of Tibet Reinterpreted, nach: Alex Berzin
[4] Schaik, S. 78.
[5] Kapstein, Matthew: The Tibetans. 2005, S. 114.
[6] Chögyam Trungpa: Empowerment. The Visit of HH the 16th Karmapa in the United States, Vajradhatu Publications 1976.
[7] Douglas/White, S. 70 nennt Shamar Rinpoche als Herrscher. Später diente die Zerstörung des Instituts und die Plünderung von Farmen, die dem Karmapa gehörten, als Vorwand für den König von Tsang, Zentraltibet zu überfallen (Laurent Deshayes, Histoire du Tibet, Fayard 1997, S. 134f).
[8] Schaik, S. 112/113. Dies war eine besondere Schmähung, da dieses Festival von dem Gründer der Gelukpas, Tsongkhapa, eingeführt worden war. Später erreichte der 2. Dalai Lama Gendün Gyatso allerdings, dass das Festival abwechselnd von Gelukpas und Kagyüpas ausgerichtet wurde. Siehe: Den Hoet, Michael: Die Linie der Dalai Lamas, Buddhismus Heute Nr. 32, (2001).http://www.buddhismus-heute.de/archive.issue__32.position__3.de.html
Wie der Buddhismus nach Tibet kam
Auch wenn diese Website viel von den dunkleren Seiten des Buddhismus in Tibet – nämlich der Verflechtung von Staat und Religion und den daraus resultierenden Kämpfen zwischen den buddhistischen Schulen im Land – berichtet, sollten die guten Seiten dieser reichen Kultur nicht vergessen werden. Auch für uns ist dies noch heute von unschätzbarem Wert: Im Schutz des Himalaya überdauerten die buddhistischen Schätze und Lehren die Jahrhunderte, die sonst aufgrund der Wirren in anderen buddhistischen Ländern verloren gegangen wären. In Indien selbst führten die muslimischen Invasionen um die erste Jahrtausendwende zu der fast vollständigen Auslöschung des buddhistischen Erbes.
Ursprung der buddhistischen Traditionen in Tibet
Bereits unter König Songtsen Gampo (7. Jh. n. Chr.) kam der Buddhismus auf das tibetische Plateau. König Trisong Detsen lud indische Meister wie Padmasambhava und Shantarakshita im 8. Jahrhundert ins Land ein, den Buddhismus in Tibet zu lehren und zu verankern. In Windeseile breitete sich der Dharma des Buddha in ganz Tibet aus und florierte!
Der nächste König des Landes, Langdarma, zerstörte in seiner nur sechs Jahre dauernden Amtszeit (836–842) viel von dem, was die Meister der Ersten Welle der Übertragung der Alten Schule der Nyingmapas aufgebaut hatten. Im 11. Jahrhundert kam es zu einer Zweiten Welle der Übertragung der Neuen Schulen, Sarma genannt. Meister wie Marpa reisten nach Indien um bei den größten Meistern der Zeit zu lernen, darunter Naropa, dem früheren Dekan der größten und berühmtesten Klosteruniversität Indiens, Nalanda. Der große indische Meister Atīśa Dīpamkāra Śrījñāna (980-1054) kam 1037 ins Land auf dem Dach der Welt und verbreitete in erster Linie die Lehren, aus denen die Kadampa Schule hervorging, in der auch der Kagyü-Meister Gampopa Sönam Rinchen (1079–1153) seine erste Ausbildung bekam. In dieser Zeit breitete sich der Dharma in Tibet erneut stark aus: Überall studierten und vor allem praktizierten Menschen mit großem Engagement und bisweilen vollkommener Selbstaufgabe den Dharma. Gampopa traf später berühmtesten Yogis Tibets, den Marpa Schüler namens Milarepa (1040–1123). Unter seiner Anleitung fand er vollkommene Verwirklichung und begründete die Kagyü-Tradition, deren Lehren er dem ersten Karmapa Düsum Khyenpa übertrug. Dieser sagte vor seinem Tod den Ort seiner Wiedergeburt voraus, die als 2. Karmapa inthronisiert wurde. Damit begründete er bereits im 12. Jahrhundert die erste Linie der bewussten Wiedergeburten. Erst einige Jahrhunderte später gründete einer der prominentestes Vertreter der Kadampa-Schule, Tsongkapa, der bei Karmapa Zuflucht genommen hatte, die Gelukpa-Schule, die auch als „reformierte Schule“ bekannt wurde. Diese bekam mit der Gründung des Klosters Ganden im Jahr 1409 ihren ersten Sitz. Tsongkapas enge Schüler etablierten 1414 und 1419 die weiteren wichtigen Geluk-Klöster Drepung und Sera. Diese drei Klöster wurden im 17. Jahrhundert nach Übernahme der politischen Macht in Tibet durch die Gelukpas zu den „drei Säulen des Staates“, wie man sie oft nannte.
Die Machtsituation in Tibet im 13.-15. Jahrhundert
Während der Regentschaft des berühmten Mongolenkaisers Dschingis Khan wurde sein Land zu einem wichtigen Machtfaktor in Asien. Er einte die mongolischen Stämme und führte siegreich Krieg gegen mehrere benachbarte Völker. Nach der Ernennung zum Großkhan aller Mongolen begann er mit der Eroberung weiterer Gebiete, bis sein Reich im Osten bis an das Japanische und im Westen bis zum Kaspische Meer reichte. Er unterwarf auch den nordöstlichen Teil Tibets, die Region Amdo. Angesichts dieses Expansionsdrangs wurde den Tibetern klar, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis auch die anderen Teile ihres Landes angegriffen würden. Könige[1] verschiedener Tibetischer Provinzen schickten eine Delegation in die Mongolei und unterwarfen sich vorsorglich der Großmacht. Man handelte einen Vertrag aus, der im Gegenzug für das Versprechen seitens der Mongolen, Tibet nicht anzugreifen, tibetische Tributzahlungen an die Mongolei versprach.
Nach dem Tod Dschingis Khans fiel das Reich an Ogedei, der auch noch die restlichen Teile Chinas unterwarf. Das Mongolische Reich reichte also von Europa über Persien bis nach Korea. Neben seinen umfangreichen Eroberungen schien Ogedei jedoch auch noch Zeit für sein Interesse an Spiritualität zu haben: Er lud sowohl Buddhisten, Nestorianische Christen als auch Taoisten in sein Land ein, zu lehren und untereinander zu debattieren.
Nach Ogedeis Tod wurde das Reich unter seinen Nachkommen aufgeteilt. Godan Khan herrschte über die an das besetzte Amdo angrenzenden Regionen. Er kam 1240 mit 30.000 Soldaten nach Tibet, die im Norden Lhasas ihr Lager aufschlugen und brandschatzten. So brannten sie das traditionsreiche Radreng Kloster, das von Atishas Schüler Drontönpa als erstes Kadampa Kloster gegründet worden war und den Gyel Lhakang Tempel nieder. Godan Khan, so ist es überliefert, bedauerte diese Zerstörungen später und wurde Buddhist.
Er lud das Oberhaupt der Sakya-Schule, den Ersten Sakya Pandita Kunga Gyaltsen (1182-1251), an seinen Hof ein und ernannte ihn 1249 zum politischen Führer der Tibeter. Angesichts der mongolischen Übermacht unterzeichnete Sakya Pandita Verträge, in denen er den Mongolen uneingeschränkte Macht in Tibet zugestand. Von nun an mussten die tibetischen Clanchefs von Godan Khan abgesegnet werde. Beamte der Sakyas sollten künftig ihre Arbeit überwachen und dafür sorgen, dass sie ausreichend Steuern für die Mongolen eintrieben.[2] Die Machtverhältnisse ließen den Tibetern keine andere Wahl, als diese neuen Regelungen zu akzeptieren. Nach dem Tod Godans übernahm Kublai Khan, der bereits über Nordchina herrschte, das Machtgebiet Godans. Er rief nach Sakya Panditas Tod dessen Neffe Phagpa an seinen Hof. 1253 wurde Khubilai Pagpas Schüler. Dies wurde zum Vorbild für alle späteren „Lama-Herrscher-Beziehungen“ in asiatischen Ländern. Nach Jahren der Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden mongolischen Stämmen wurde das Reich neu aufgeteilt, Kublai wurde Khan des östlichen Teils des einst geeinten Imperiums, hatte aber auch noch einen gewissen Einfluss auf den persischen Teil des ehemaligen Großreichs, das sein Bruder regierte.
1265 kehrte Pagpa nach Tibet zurück. Er wurde von 6.000 Mongolischen Soldaten begleitet, die Pagpas Einfluss in Tibet absichern sollten und konsolidierten gleichzeitig die mongolische Macht in der nordöstlichen Provinz Amdo, das bereits zu Zeiten Dschingjis Khans überfallen worden war.[3]
1252 hatte Kublai Khan auch den Zweiten Karmapa nach China eingeladen und ihm den spirituellen Ehrentitel Paksi übertragen, unter dem er auch heute noch bekannt ist. Damit begründete der König eine Lehrer-Schüler Beziehung mit den Karmapas, an die auch spätere Karmapas anknüpften. Karmapa achtete aber darauf, nicht mit den Sakyas in Konkurrenz zu treten und strebte keineswegs eine politische Funktion an.
Kublai teilte Tibet in 13 Provinzen auf und ließ sie von den Sakyas regieren, diese Regierungen wurde in den 13 Regionen an Klöster gebunden, was die Vermischung von Politik und Religion noch weiter begünstigte. Der Khan gab Pagpa den Titel „Staatslehrer“. Die Unterstützung seitens Kublais garantierte Pagpa keinesfalls die Macht in ganz Tibet, da die beiden anderen mongolischen Reiche die Pagmodrukpa- und die Drigung-Dynastien West-Tibets unterstützten. Dies wurde in den kommenden Jahren Quelle anhaltender Spannungen.[4] Tibet, das sagenumwobene „verbotene Land“, in das der westlichen Verklärung nach kaum ein Ausländer einen Fuß setzen durfte, war also bereits im Mittelalter machtpolitisch mit seinen Nachbarn verwoben.
Die Drigung-Regierung in West-Tibet bat Hillegii Khan, den mongolischen Herrscher über Persien, um Hilfe, der 1285 entsprochen wurde.[5] Zwei Jahre später holte Pagpa Kublai Khans Truppen ins Land. Man griff West-Tibet 1290 an, Drigung Klöster wurden niedergebrannt, der Drigung Führer festgenommen und bestialisch ermordet. Die einheitliche Herrschaft im Land war – mit Waffengewalt – wieder hergestellt...
Jangtschub Gyaltsen war ein begabter Mönch der Pagmudrupas, die aufgrund der Mongolischen Invasion fast alle Macht verloren hatten. Er praktizierte jahrelang intensiv und wollte eigentlich Mönch werden. Doch sein Tutor erklärte ihm, er habe dazu keinerlei Begabung und ließ ihm eine Ausbildung in Militärtaktik angedeihen. Gyaltsen baute eine Armee auf und schlug die Armee Zentral-Tibets nebst der Mongolen, die im Land verblieben waren. Das Land war verwüstet. Selbst das bereits von Padmasambhava gegründete erste Kloster Tibets, Samye, wurde beschädigt. 1353 wurde Gyaltsen der neue Herrscher Tibets. Und wenn er auch von den Mongolen auch den weltlichen Titel „Tai Situ“ bekam, hatten diese keine wirkliche Macht mehr über Tibet. Bald verloren sie auch die Herrschaft über China, aus dem sie 1368 vertrieben wurden, was den Beginn der Ming Dynastie einleitete.
Das neue chinesische Kaiserhaus hatte, abgesehen vom Tibetischen Buddhismus, und dem Handel mit dem Land, kein sonderliches Interesse an Tibet. Die neuen Machthaber luden weiterhin tibetische Lamas ein. Der Vierte Karmapa, Rölpe Dorje, wurde der wichtigste Lehrer des neuen chinesischen Kaisers.
Die Gelukpas betreten die politische Bühne
Die Zeit friedlicher Koexistenz in Tibet kam mit der Spaltung der Pagmodru-Dynastie zu einem jähen Ende. Der eine Teil der Herrscherfamilie herrschte fortan über Zentral-Tibet, der andere – die Rinpung-Regierung – über Tsang. Ersterer kam unter den Einfluss der neuen Gelukpa-Schule, deren Gründer Tsongkhapa gerade gestorben war. Letzterer folgte den Karma-Kagyüpas. Dies war der Anfang einer politischen Teilung die, wie wir sehen werden, im 17. Jahrhundert mit der Machtübernahme des Fünften Dalai Lama und der Vertreibung des Zehnten Karmapa ihren Höhepunkt fand, aber in gewisser Weise noch bis heute die politische Landschaft der Tibeter mitprägt.
Zu ersten großen Problemen kam es, als die Karma-Kagyü-Schule in Lhasa ein Kolleg, eine Shedra, errichten wollte. Die den Gelukpa nahestehende Regierung in Lhasa genehmigten den Bau aber nur außerhalb der Stadt.
Nach Fertigstellung wurde das Kolleg von Geluk-Mönchen (sic!) angegriffen und vollkommen zerstört, Karmapa entkam nur knapp dem Tode.[6] Der damalige König von Zentral-Tibet wollte die Aggressoren bestrafen[7], doch der Siebte Karmapa Tschödrag Gyamtso (1454-1506) verhinderte dies, indem er verkündete: „Wir erwidern Feinseligkeit mit Güte.“ Die Regierung von Tsang indes hörte nicht auf den hohen Lama, sondern nahm den Vorfall als Vorwand, Zentral-Tibet anzugreifen, die Geluk-Mönche zu vertreiben und von dem jährlichen ihnen ausgesprochen wichtigen Gebets-Festival auszuschließen.[8]
Fußnoten
Die ausführlichen Buchtitel finden Sie in der Rubrik Bibliographie.
[1] Die Reiche dieser „Könige“ waren nicht immer sehr groß, vielleicht wäre es treffender, von Fürsten zu sprechen.
[2] Schaik, Sam van: Tibet – A History, Yale University Press, New Haven and London, 2011, S. 76/77.
[3] Wylie, Turrell: The First Mongol Conquest of Tibet Reinterpreted, nach: Alex Berzin
[4] Schaik, S. 78.
[5] Kapstein, Matthew: The Tibetans. 2005, S. 114.
[6] Chögyam Trungpa: Empowerment. The Visit of HH the 16th Karmapa in the United States, Vajradhatu Publications 1976.
[7] Douglas/White, S. 70 nennt Shamar Rinpoche als Herrscher. Später diente die Zerstörung des Instituts und die Plünderung von Farmen, die dem Karmapa gehörten, als Vorwand für den König von Tsang, Zentraltibet zu überfallen (Laurent Deshayes, Histoire du Tibet, Fayard 1997, S. 134f).
[8] Schaik, S. 112/113. Dies war eine besondere Schmähung, da dieses Festival von dem Gründer der Gelukpas, Tsongkhapa, eingeführt worden war. Später erreichte der 2. Dalai Lama Gendün Gyatso allerdings, dass das Festival abwechselnd von Gelukpas und Kagyüpas ausgerichtet wurde. Siehe: Den Hoet, Michael: Die Linie der Dalai Lamas, Buddhismus Heute Nr. 32, (2001).http://www.buddhismus-heute.de/archive.issue__32.position__3.de.html