Im Exil
1963 lud die tibetische Exilregierung zu einem Treffen nach Dharamsala. Es war angeblich ein rein organisatorisches Treffen, aber bereits kurz danach wurden Stimmen laut, die kritisierten, dass die erneut Gelukpa- dominierte Exilregierung versuchte, die Macht zu zentralisieren und die anderen Schulen zu dominieren.1 Der Dalai Lama dementierte dies. Offensichtlich war es allerdings sein Bruder Gyalo Thondub (Tib. rGya lo don grub) der mit seiner „Vereinigten Partei“ diese Zentralisierung betrieb.2
Die tibetische Organisation Chushi Gangdrug (Tib. : chu bzhi gangs drug) schreibt dazu auf ihrer Website:
„Während in China und Tibet die Kulturrevolution stattfand, wurde Anfang 1964 bis 1973 im Exil ein sehr ähnliches Experiment gestartet: für eine schlecht durchdachte Kampagne im Namen progressiver Reformen wurde die Vereinigte Partei gebildet. Bei dieser unheilvollen Kampagne war Gyalo Thondup federführend. Die Partei hatte, der Struktur der kommunistischen Partei ähnlich, einen inneren und einen äußeren Zirkel. (…) In dem sie ehrgeizige und opportunistische Mitglieder von Chushi Gangdrug wie Ratuk Ngawang, Gyari Nyima anwarben (…) erwirkten sie eine Spaltung in der Chushi Gangdrug Organisation. Die durch die Vereinigte Partei initiierte revolutionäre Bewegung hatte sich dreierlei vorgenommen:
- Ökonomische Revolution: Beschränkung des Privateigentums und Beschlagnahmung desselben und des Bargeldes, um Gemeinschaften und kollektive Handwerks-Zentren zu schaffen.
- Religiöse Revolution: Die verschiedenen Sekten unserer Religion wurden nicht gänzlich abgelehnt, aber gewisse religiöser Segmente wurden kritisiert und über verschiedene Oberhäupter bestimmter Sekten wurde gelästert. Das Ziel war die Bildung einer reformierten Buddhistischen Organisation für alle Sekten.
- Soziale Revolution: Hier wurden die religiösen Anführer, hoch stehende Individuen innerhalb ihrer jeweiligen Gemeinschaften, d. h., traditionelle Stammesführer und einige edle Familien aus Lhasa, angegriffen. Der größe Teil der oben genannten gehörten zu Chushi Gangdrug, einige von ihnen waren in der vordersten Reihe der Widerstandsbewegung.
Die Vereinigte Partei hatte allerdings nie eine starke Loyalität der Mitglieder zu ihren jeweiligen Führern bewirken können. Nach Bildung dieser revolutionären Bewegung, die der kommunistischen ähnelte, bildeten 13 Anführer von Gruppen, die sich in ähnlichen Situationen befanden, eine Partei namens „tibetische Wohlfahrt-Vereinigung“, die als 13er Gruppe bekannt wurde (13/14 settlements group), die unter der Schirmherrschaft Seiner Heiligkeit des 16. Gyalwa Karmapa stand. Ihr Ziel war, der Vereinigten Partei entgegenzutreten. Die 13er Gruppe bestand aus Oberhäuptern von Linien, prominenten Lamas, und traditionellen Khampa- und Amdo Anführern.
Konfrontiert mit dem bitterem Widerstand von Chushi Gangdrug und der 13er Gruppe, nutzte 1972 Gyalo Thundup, der Initiator der unheilvollen Kampagne, seinen Einfluß, um das durch das Indian Home Ministry [Innenministerium] zu manipulierten: 28 prominente tibetische religiöse Würdenträger sowie Laien sollten ihre jeweiligen Gebiete verlassen und wurden an unangenehme Orte verbannt, wo sie für unbestimmte Zeit bleiben mussten. Schon zuvor erlitten sechs Khampa Arbeitsführer eine ähnliche Bestrafung und mussten in Straßenbau-Lagern arbeiten, fünf von ihnen starben im Laufe ihrer Verbannung. Zwei Empfänger dieser Schreiben, Sadhu Lobsang Nyandak und Gungthang Ngodup gingen vor Gericht und legten vor dem oberstem Zivilgericht in Delhi Einspruch ein. Danach wurden die Verordnungen zurückgezogen.“3
Die 13er Gruppe war nicht die Einzige, die diesen Zentralisationsbestrebungen entgegen arbeitete, Surkang Wangchen Gelek und seine Lhasa Group tat dies bereits zu Beginn der 60er Jahre. Angesichts des Widerstands gegen die zentralistische Politk Dharamsalas kommentierte Dawa Norbu in seinem Buch „Chinas Tibet Policy“: „Das bedeutet, dass es in Zukunft nötig ist, die Institution des Dalai Lama von der Konzentration der Macht zu befreien.“4
Die genannte 13er Gruppe wandte sich beispielsweise dagegen, dass in den tibetischen Siedlungen in den Schulen der Religionsunterricht sehr von der Gelbmützensekte geprägt wurde:
„Obwohl die tibetische Kultur und Religion in der neuen Umgebung [Indien und Nepal] gute Wurzeln schlug, hatten einige hohe tibetische Funktionäre eine andere Auffassung davon, wie die tibetische Kultur und Autonomie gestärkt werden sollte. Sie sagten: „Aufgrund mangelnder Einigkeit haben wir unser Land verloren … Lasst uns eine einzige Schule des tibetischen Buddhismus schaffen, statt dieses Übermaßes, das heute existiert.“ Diese Botschaft irritierte einige Leute – besonders Anhänger der Nyingma, Kagyu, and Sakya Schulen. Sie sagten: 'Wenn wir eine Schule bilden – welche wird dies sein?' Dies ist nur ein Plan, die Nyingma, Kagyu, und Sakyas zu zerstören!'. 'Schaut, wie heutzutage in den Tibetischen Siedlungen die Schulen geführt werden. Die Morgen- und Abendgebete sind Gelukpa Gebete und die religiösen Lehrer in allen Schulen sind Gelukpa.' Es gab wachsenden Unmut: 'In Tibet gab die Kommunistische Partei den Kindern eine kommunistische Erziehung und Lebensstil. Im Exil gibt man den Kindern eine Gelukpa Erziehung.'“5 Die offiziellen Statements schufen also keinesfalls Einheit, ganz im Gegenteil, sie weckte tiefen Unmut in den Herzen vieler Tibeter.
Dieser 13er Gruppe, zu der später die 14. hinzustieß6, wurde schließlich eine wichtige Gegenkraft zur Exilregierung. Tragisch wurde es, als 1977 ihr Anführer, Gungthang Tsültrim, ermordet wurde.7 Der mutmaßliche Mörder gab an, eine beachtliche Summe für die Ermordung des Karmapas in Aussicht gestellt bekommen zu haben. Hierfür finden sich keine wirklich stichhaltigen Quellen. Anil Maheswari, immerhin Journalist der Hindustan Times, schreibt davon allerdings in seinem Buch „Buddha Cries.“ Wie dem auch sei, der 16. Karmapa bekam aufgrund dieser Gerüchte etwas später erstmals eine bewaffnete Leibgarde, wie mir Passang, der dieser angehörte 2011 in Rumtek erzählte.
Aber dies war erst der Anfang. 1992 kam es zu wirklich großen problemen in der Karma-Kagyü-Schule, von denen einige behaupten, sie sei die Fortführung der Konflikte zwischen den Gelugpas und den Kagyüs, die seit der durch die Einmischung der Mongolen ermöglichten Inthronisierung des Dalai Fünften Lama als "spirituelles und weltliches Oberhaupt der Tibeter" bestehen.
1Maheshwari, Anil, Buddha Cries, 3. Kapitel: 3. Tremors in Shangrila.
2Gyalo Thondub ist der Bruder des Dalai Lama, der durch seine CIA Kontakte nicht nur in gutes Licht gerückt wurde. Interessantes zu dessen Aktivität und zur Gründung der 13er Gruppe: Prof. Petra Maurer: Die Aktivitäten rGya lo don grubs im tibetischen Widerstand – ein Überblick http://info-buddhismus.de/Die-Aktivitaeten-rGya_lo_don_grubs-im-tibetischen-Widerstand.html
3 http://www.chushigangdruk.org/history/history12.htm Interessanterweise wurde der Link von der Hauptseite der Organisation http://www.chushigangdruk.org auf diese äußerst kritische Unterseite gelöscht...
4 Dawa Norbu: „Chinas Tibet Policy“.
5 Khenpo Tsewang Dongyal Rinpoche: Light of Fearless Indestructible Wisdom, The Life and Legacy of His Holiness Dudjom Rinpoche, S. 129/130. (Biographie von Seiner Heiligkeit Dudjom Rinpoche).
6Weswegen sie je nach Quelle entweder 13 oder 14 Settlements Group genannt wird.
7 “Gungthang Tsultrim—a Political Victim?” Tibetan Review 13, no. 8 (1978). Arrested Histories: Tibet. the CIA. and Memories of a Forgotten War von Carole McGranahan nennt den Namen des Angeklagten: Amdo Tenzin.
1963 lud die tibetische Exilregierung zu einem Treffen nach Dharamsala. Es war angeblich ein rein organisatorisches Treffen, aber bereits kurz danach wurden Stimmen laut, die kritisierten, dass die erneut Gelukpa- dominierte Exilregierung versuchte, die Macht zu zentralisieren und die anderen Schulen zu dominieren.1 Der Dalai Lama dementierte dies. Offensichtlich war es allerdings sein Bruder Gyalo Thondub (Tib. rGya lo don grub) der mit seiner „Vereinigten Partei“ diese Zentralisierung betrieb.2
Die tibetische Organisation Chushi Gangdrug (Tib. : chu bzhi gangs drug) schreibt dazu auf ihrer Website:
„Während in China und Tibet die Kulturrevolution stattfand, wurde Anfang 1964 bis 1973 im Exil ein sehr ähnliches Experiment gestartet: für eine schlecht durchdachte Kampagne im Namen progressiver Reformen wurde die Vereinigte Partei gebildet. Bei dieser unheilvollen Kampagne war Gyalo Thondup federführend. Die Partei hatte, der Struktur der kommunistischen Partei ähnlich, einen inneren und einen äußeren Zirkel. (…) In dem sie ehrgeizige und opportunistische Mitglieder von Chushi Gangdrug wie Ratuk Ngawang, Gyari Nyima anwarben (…) erwirkten sie eine Spaltung in der Chushi Gangdrug Organisation. Die durch die Vereinigte Partei initiierte revolutionäre Bewegung hatte sich dreierlei vorgenommen:
- Ökonomische Revolution: Beschränkung des Privateigentums und Beschlagnahmung desselben und des Bargeldes, um Gemeinschaften und kollektive Handwerks-Zentren zu schaffen.
- Religiöse Revolution: Die verschiedenen Sekten unserer Religion wurden nicht gänzlich abgelehnt, aber gewisse religiöser Segmente wurden kritisiert und über verschiedene Oberhäupter bestimmter Sekten wurde gelästert. Das Ziel war die Bildung einer reformierten Buddhistischen Organisation für alle Sekten.
- Soziale Revolution: Hier wurden die religiösen Anführer, hoch stehende Individuen innerhalb ihrer jeweiligen Gemeinschaften, d. h., traditionelle Stammesführer und einige edle Familien aus Lhasa, angegriffen. Der größe Teil der oben genannten gehörten zu Chushi Gangdrug, einige von ihnen waren in der vordersten Reihe der Widerstandsbewegung.
Die Vereinigte Partei hatte allerdings nie eine starke Loyalität der Mitglieder zu ihren jeweiligen Führern bewirken können. Nach Bildung dieser revolutionären Bewegung, die der kommunistischen ähnelte, bildeten 13 Anführer von Gruppen, die sich in ähnlichen Situationen befanden, eine Partei namens „tibetische Wohlfahrt-Vereinigung“, die als 13er Gruppe bekannt wurde (13/14 settlements group), die unter der Schirmherrschaft Seiner Heiligkeit des 16. Gyalwa Karmapa stand. Ihr Ziel war, der Vereinigten Partei entgegenzutreten. Die 13er Gruppe bestand aus Oberhäuptern von Linien, prominenten Lamas, und traditionellen Khampa- und Amdo Anführern.
Konfrontiert mit dem bitterem Widerstand von Chushi Gangdrug und der 13er Gruppe, nutzte 1972 Gyalo Thundup, der Initiator der unheilvollen Kampagne, seinen Einfluß, um das durch das Indian Home Ministry [Innenministerium] zu manipulierten: 28 prominente tibetische religiöse Würdenträger sowie Laien sollten ihre jeweiligen Gebiete verlassen und wurden an unangenehme Orte verbannt, wo sie für unbestimmte Zeit bleiben mussten. Schon zuvor erlitten sechs Khampa Arbeitsführer eine ähnliche Bestrafung und mussten in Straßenbau-Lagern arbeiten, fünf von ihnen starben im Laufe ihrer Verbannung. Zwei Empfänger dieser Schreiben, Sadhu Lobsang Nyandak und Gungthang Ngodup gingen vor Gericht und legten vor dem oberstem Zivilgericht in Delhi Einspruch ein. Danach wurden die Verordnungen zurückgezogen.“3
Die 13er Gruppe war nicht die Einzige, die diesen Zentralisationsbestrebungen entgegen arbeitete, Surkang Wangchen Gelek und seine Lhasa Group tat dies bereits zu Beginn der 60er Jahre. Angesichts des Widerstands gegen die zentralistische Politk Dharamsalas kommentierte Dawa Norbu in seinem Buch „Chinas Tibet Policy“: „Das bedeutet, dass es in Zukunft nötig ist, die Institution des Dalai Lama von der Konzentration der Macht zu befreien.“4
Die genannte 13er Gruppe wandte sich beispielsweise dagegen, dass in den tibetischen Siedlungen in den Schulen der Religionsunterricht sehr von der Gelbmützensekte geprägt wurde:
„Obwohl die tibetische Kultur und Religion in der neuen Umgebung [Indien und Nepal] gute Wurzeln schlug, hatten einige hohe tibetische Funktionäre eine andere Auffassung davon, wie die tibetische Kultur und Autonomie gestärkt werden sollte. Sie sagten: „Aufgrund mangelnder Einigkeit haben wir unser Land verloren … Lasst uns eine einzige Schule des tibetischen Buddhismus schaffen, statt dieses Übermaßes, das heute existiert.“ Diese Botschaft irritierte einige Leute – besonders Anhänger der Nyingma, Kagyu, and Sakya Schulen. Sie sagten: 'Wenn wir eine Schule bilden – welche wird dies sein?' Dies ist nur ein Plan, die Nyingma, Kagyu, und Sakyas zu zerstören!'. 'Schaut, wie heutzutage in den Tibetischen Siedlungen die Schulen geführt werden. Die Morgen- und Abendgebete sind Gelukpa Gebete und die religiösen Lehrer in allen Schulen sind Gelukpa.' Es gab wachsenden Unmut: 'In Tibet gab die Kommunistische Partei den Kindern eine kommunistische Erziehung und Lebensstil. Im Exil gibt man den Kindern eine Gelukpa Erziehung.'“5 Die offiziellen Statements schufen also keinesfalls Einheit, ganz im Gegenteil, sie weckte tiefen Unmut in den Herzen vieler Tibeter.
Dieser 13er Gruppe, zu der später die 14. hinzustieß6, wurde schließlich eine wichtige Gegenkraft zur Exilregierung. Tragisch wurde es, als 1977 ihr Anführer, Gungthang Tsültrim, ermordet wurde.7 Der mutmaßliche Mörder gab an, eine beachtliche Summe für die Ermordung des Karmapas in Aussicht gestellt bekommen zu haben. Hierfür finden sich keine wirklich stichhaltigen Quellen. Anil Maheswari, immerhin Journalist der Hindustan Times, schreibt davon allerdings in seinem Buch „Buddha Cries.“ Wie dem auch sei, der 16. Karmapa bekam aufgrund dieser Gerüchte etwas später erstmals eine bewaffnete Leibgarde, wie mir Passang, der dieser angehörte 2011 in Rumtek erzählte.
Aber dies war erst der Anfang. 1992 kam es zu wirklich großen problemen in der Karma-Kagyü-Schule, von denen einige behaupten, sie sei die Fortführung der Konflikte zwischen den Gelugpas und den Kagyüs, die seit der durch die Einmischung der Mongolen ermöglichten Inthronisierung des Dalai Fünften Lama als "spirituelles und weltliches Oberhaupt der Tibeter" bestehen.
1Maheshwari, Anil, Buddha Cries, 3. Kapitel: 3. Tremors in Shangrila.
2Gyalo Thondub ist der Bruder des Dalai Lama, der durch seine CIA Kontakte nicht nur in gutes Licht gerückt wurde. Interessantes zu dessen Aktivität und zur Gründung der 13er Gruppe: Prof. Petra Maurer: Die Aktivitäten rGya lo don grubs im tibetischen Widerstand – ein Überblick http://info-buddhismus.de/Die-Aktivitaeten-rGya_lo_don_grubs-im-tibetischen-Widerstand.html
3 http://www.chushigangdruk.org/history/history12.htm Interessanterweise wurde der Link von der Hauptseite der Organisation http://www.chushigangdruk.org auf diese äußerst kritische Unterseite gelöscht...
4 Dawa Norbu: „Chinas Tibet Policy“.
5 Khenpo Tsewang Dongyal Rinpoche: Light of Fearless Indestructible Wisdom, The Life and Legacy of His Holiness Dudjom Rinpoche, S. 129/130. (Biographie von Seiner Heiligkeit Dudjom Rinpoche).
6Weswegen sie je nach Quelle entweder 13 oder 14 Settlements Group genannt wird.
7 “Gungthang Tsultrim—a Political Victim?” Tibetan Review 13, no. 8 (1978). Arrested Histories: Tibet. the CIA. and Memories of a Forgotten War von Carole McGranahan nennt den Namen des Angeklagten: Amdo Tenzin.