Foto: Die Festung von Shigatse
Die Konflikte eskalieren
Auch wenn der Pantschen Lama mit seinem diplomatischen Geschick den Gelukpas eine friedliche Koexistenz mit dem König von Tsang ermöglichte, entschieden sich einflussreiche Kreise der Gelukpas – und keinesfalls ohne Widerspruch aus den eigenen Reihen – zu Beginn des 17. Jahrhunderts wieder die Unterstützung der Mongolen zu erbitten. Der Sekretär des Dalai Lama, Sonam Rapten, reiste 1619 in geheimer Mission in die mongolische Provinz Kokonor und kehrte 1621 mit zweitausend mongolischen Soldaten nach Zentral-Tibet zurück. Diese schlossen sich dort mit dem König Kyishö Depa zusammen, der bereits seit langem die Gelukpas unterstützten. Sie vertrieben die Truppen des König von Tsang aus Lhasa und kesselten die auf einen Hügel außerhalb der Stadt geflüchteten ein und belagerten sie. Nur der Intervention des Pantschen Lama ist es zu verdanken, dass die Armee nicht ausgehungert und abgeschlachtet wurde.[1]
Hiermit gewannen die Gelukpas wieder die Oberhand in Zentral-Tibet, ein Friedensvertrag wurde unterzeichnet, der beinhaltete, dass die
In Tibet selbst fehlte es dem König von Tsang an Rückhalt, denn, so, Snellgrove/Richardson war
„auf der einen Seite der Schwarzhut-Patriarch [Karmapa] keine Stütze auf dem politischen Feld: Er hatte ein sanftes Gemüt, liebte wilde Tiere, malte religiöse Bilder, war inspiriert von Entbehrungen und schleppte eigenhändig Steine für den Klosterbau. Er lehnte die Militanz des Königs von Tsang ab, wie berechtigt sie auch gewesen sein mag. Andererseits gab es ein Vakuum [zwischen zwei Inkarnationen] in der Folge der Rothutlamas [Shamarpas], die in politischen und militärischen Fragen kompetenter waren“[3]
Aber auch zu Lebzeiten hatte der 1630 verstorbene 6. Shamarpa keinesfalls die militärischen Aktivitäten des Königshauses gebilligt: Der 10. Karmapa schreibt in seiner Autobiographie:
„Der Sechste Shamarpa sagte dem Tsangpa Desi [Herrscher] jedoch: ‚Wann haben sie endlich genug. Sie sind ein machtvoller Fürst mit so vielen Untertanen, warum greifen Sie weiterhin die kleinen Fische an?‘“[4]
Die Gelukpas ersuchten nun den Herrscher des sehr mächtigen westmongolischen Khoshot-Stammes der Oirat, Gushri Khan (1582-1655), sie militärisch zu unterstützen. Mit Erfolg.
Die verschiedenen Clans der Mongolen waren verfeindet und bekämpften sich unter Führung verschiedener Herrscher. Einer von ihnen war der König der Khalkha Mongolen, Tschoktu Taiji (1581–1637), der im Kokonor die Untertützer der Gelukpas merklich geschwächt hatte.
1635 führte sein Sohn Arslang, 10.000 Soldaten in Richtung Tibet, um dem ihrem Verbündeten, dem König von Tsang, zur Hilfe zu kommen. Gushri Khan begann sofort Verhandlungen mit ihm, in deren Folge Arslang seinen Plan aufgab, alleine nach Lhasa reiste und selbst eine Herrscher-Priester-Beziehung mit dem Dalai Lama einging „da er wahrscheinlich einsah, dass ihm Gushri Khans Truppen weit überlegen waren.“[5] Dennoch griff Gushri Khan die Khalkha 1637 an und schlug sie verheerend.
Gushri Khan machte 1638 eine Pilgerreise zum 5. Dalai Lama Lobsang Gyatso. „Da er von der Persönlichkeit des Dalai Lama tief beeindruckt war, bedurfte es wenig Zuspruch seitens des Teils der dGe-lugs-pas [Gelukpas], die nach politischer Vormacht strebten, um ihn dazu zu bewegen, seine Armeen zur Unterstützung ihrer Sache gegen den König von Tsang zu schicken.“[6] Im Gegenzug erhielt er vom Dalai Lama den Titel „Tendzin Tschöki Gyalpo“, (Dharmakönig, Halter der Lehre).
Angriff auf Kham und Tsang
Der Desi (Regent) des Dalai Lama ordnete in Beisein des Letzteren und ohne dessen Widerspruch an, die Beri zu vernichten.[7] Elliot Sperling zitiert die Autobiographie des 5. Dalai Lama, in der steht, dass der Dalai Lama allerdings persönlich die Weisung für den Angriff gab und dabei betonte, man solle keinen Widerstand der Khampas dulden.[8] 1639 eroberte Gushri Khans Armee das Ost-Tibetische Kham und brachte den Beri-König um. Die mongolischen Truppen kamen anschließend nach Zentral-Tibet, und einige von Gushri Khans Generälen besuchten den Dalai Lama.
Der wichtigste Grund für die „Einladung“ der Truppen Gushri Khans war die Entmachtung des Königs von Tsang. Die offizielle Geschichtsschreibung spricht davon, dass der der Sekretär des Dalai Lama ohne dessen Wissen dem Überfall auf Tsang zugestimmt habe. Dies scheint unzutreffend zu sein: Zwar hatte der junge Rinpoche zumindest zu Beginn noch Zweifel, ob diese militärischen Aktionen gerechtfertigt seien, billigte sie schlussendlich aber: In seiner Autobiographie schrieb er, dass er bezüglich der „Antwort auf die Handlungen der Tsangpas“ nicht als „ungehorsamer Mönch“ erscheinen wolle, „auch wenn wir Rache nehmen.“ Und weiter: „Was uns betrifft, konstatierte ich: Auf die Tugend des Bodhisattva zu vertrauen, die sich und andere gleich setzt, hat die Kämpfe nicht aufgehalten. Deswegen wird, wenn wir mit dieser Art der Heuchelei [fortfahren], nur Schande vor anderen das Ergebnis sein!“[9] Gushri Khan griff die Truppen des König von Tsang an, die sich nach Shigatse zurückzogen und dort den Eindringlingen erbitterten Widerstand entgegen brachten, sodass vorerst an einen Sieg der Mongolen nicht zu denken war. Der Sekretär des Dalai Lama bat diesen zwischen den Kriegsparteien zu vermitteln. Der Dalai Lama Lobsang Gyatso „reagierte mit unerwartetem Ärger“ und lehnte ab, „da es für eine Versöhnung nun zu spät sei.“[10]
Schwarze Magie
Lobsang Gyatso selbst unterstützte die Kampfhandlungen auf seine Art und führte einige schwarzmagische Rituale durch, um den Erfolg der Truppen Khans zu unterstützen:
„Während bei den Festungen und an anderen Orten gekämpft wurde, lud der Dalai Lama Lama Zur [den Nyingmapa-Lama Chos-dbyings rang-grol (1610-1659)] nach Drepung ein und machte mit ihm gemeinsam verschiedene magische Rituale gegen die Streitkräfte Tsangs, die jetzt als Feinde der [buddhistischen] Lehre erachtet wurden. Während dieser hatte der Dalai Lama verschiedene Visionen.“[11] Er hatte eine Vision eines riesigen Kopfes vor dem Altar, der zahllose andere verschlang – „wie Körner, die in einen Sack fallen.“ Schwarze Magie war in Tibet auch unter denen üblich, die sich Buddhisten nannten![12]
Aber man beließ es nicht bei Ritualen, sondern sandte auch Truppen zur Unterstützung der Mongolen. Gemeinsam griff man Shigatse an. Die Zahl der Toten der Armee von Tsang bei der Schlacht war enorm. Der König von Tsang musste sich ergeben, wurde gefangen genommen und später umgebracht. Kurz darauf kam es zum historischen Treffen zwischen Gushri Khan und dem 5. Dalai Lama, bei dem der Kriegsherr den Mönch zum spirituellen und politischen Oberhaupt der Tibeter ernannte. Je nach Quellen fand dieses Treffen entweder im Palast des Königs von Tsang oder sogar – voller Symbolik – noch auf dem Schlachtfeld statt. Erstere Version findet sich in dem Buch des Gelukpa Ministers Shakabpa,[13] letzteres in Sam Van Schaiks Buch „Tibet“, das neuere Forschungen berücksichtigt.[14]
Shamarpa wird erstmals Sündenbock
Nach all den Kriegshandlungen beschuldigte Dalai Lama Lobsang Gyatso später in seiner Autobiographie Shamarpa, er habe gemeinsam mit Choktu Taiji und dessen Sohn Arslang zu Beginn der 1630er Jahre „Gespräche darüber geführt, gemeinsam mit dem Herrscher von Tsang eine Regierung zu bilden, und darüber, dass Zadampa [der Mongolenstann] Lhasa und Baprongpa Reting einnehmen sollte, über Neutralität den Systemen wie den Sakyas gegenüber und darüber, wie man die Gelukpas auslöschen könnte.“[15] Als später Arslang sich Gushri Khan und den Gelukpas anschloss, habe Shamarpa und gemeinsam mit dem König von Tsang einen Brief an Arslangs Vater Tsoktu Taijai geschickt, in dem er sich erkundigte, warum Arslang gegen dessen Befehl gehandelt habe. Arslang wurde daraufhin, so die Interpretation des 5. Dalai Lama, zur Strafe umgebracht.
Die Sache hatte jedoch einen Haken: Shamarpa war damals noch nicht einmal im Schulkindalter. Peter Schwieger mutmaßt, dass der damalige Dalai Lama nicht die Sterbe- und Geburtsdaten der Shamarpas kannte.[16] Mit dem erfundenen Vorwurf gegen Shamarpa bewies der Dalai Lama, dass er sich nicht scheute, seine Autobiographie dazu zu benutzen, sein kriegerisches Handeln zu legitimieren und seine Widersacher zu diskreditieren. Der Dalai Lama, der später als Großer Fünfter bekannt werden sollte, stand unter großem Legitimationsdruck, da er nicht nur den Krieg gegen Beri, den König von Tsang, sondern auch gegen Ladakh befohlen hatte.[17] Lobsang Gyatso war nicht nur ein großer Praktizierender, sondern gleichzeitig auch ein Befürworter dieser Feldzüge und Mitbegründer des Hasses auf Shamarpa, den heute noch viele Geschichtsschreiber nachbeten. Wer könnte es auch wagen, die Worte eines Dalai Lama in Frage zu stellen?
(In diesem Zusammenhang ist interessant, dass die tibetische Geschichtsschreibung maßgeblich von W. D. Shakabpa geprägt wurde, der Minister des Kabinetts des 13. Und 14. Dalai Lama in Tibet war.)
[1] Snellgrove/Richardson 2003, S.194.
[2] Schwieger 2015, S. 40.
[3] Snellgrove/Richardson 2003, S. 195.
[4] Autobiography of the 10th Karmapa: The Biography of the Bodhisattva The Bountiful Cow, from The Collection of the Writings of the Tenth Karmapa Choying Dorje Vol 1 163-167, Szechuan Publication Committee in China Szechuan publication. zit. nach Sylvia Wong: Karmapa Prophecies Motilal Barnasidass 2010, S. 113. Als der König von Tsang starb, weigerten sich sowohl der 10. Karmapa als auch der 6. Shamarpa die Nachtodrituale auszuführen, da der König so militant gewesen war.
[5] Kappstein 2006, S. 137.
[6] Snellgrove/Richardson 2003, S. 198.
[7] Schwieger 2015, S. 65.
[8] Autobiographie des 5. Dalai Lama, zit. in. Elliot Sperling: „Orientalism« and Aspects of Violence in the Tibetan Tradition“, in: Dodin, Thierry & Raether Heinz (Hrsg.), Imagining Tibet - Perceptions, Projections, and Fantasies, Boston, 2001.
[9] Ebenda
[10] Kappstein, S. 121.
[11] dukita Vol. I, S 101b6-101a2, zit.nach: Samten Karmay, Secret Visions of the Fifth Dalai Lama, Serindia 1999, S.9.
[12] Magische Praktiken zur Bezwingung des „Feindes“ waren in Tibet üblich, Siehe: James Gentry Representations of Efficacy. The Ritual Expulsion of Mongol Armies in the Consolidation and Expansion of the Tsang (Gtsang) Dynasty, in: José Ignacio Cabezón (Hrsg.): Tibetan Ritual, Oxford University Press 2010.
[13] Shakabpa 1967, S. 111. Shakabpa war Minister der tibetischen Zentralregierung.
[14] Schaik 2011, S. 122.
[15] Schwieger 2015, S. 42.
[16] Schwieger 2015, S. 46. Der neue Shamarpa wurde erst 1649 vom 10. Karmapa gefunden.
[17] Schwieger 2015, S. 69.
Hiermit gewannen die Gelukpas wieder die Oberhand in Zentral-Tibet, ein Friedensvertrag wurde unterzeichnet, der beinhaltete, dass die
- Mililtärcamps des König von Tsang in Lhasa verschwanden
- Die Gelukpas ihre Klöster zurückbekamen.
In Tibet selbst fehlte es dem König von Tsang an Rückhalt, denn, so, Snellgrove/Richardson war
„auf der einen Seite der Schwarzhut-Patriarch [Karmapa] keine Stütze auf dem politischen Feld: Er hatte ein sanftes Gemüt, liebte wilde Tiere, malte religiöse Bilder, war inspiriert von Entbehrungen und schleppte eigenhändig Steine für den Klosterbau. Er lehnte die Militanz des Königs von Tsang ab, wie berechtigt sie auch gewesen sein mag. Andererseits gab es ein Vakuum [zwischen zwei Inkarnationen] in der Folge der Rothutlamas [Shamarpas], die in politischen und militärischen Fragen kompetenter waren“[3]
Aber auch zu Lebzeiten hatte der 1630 verstorbene 6. Shamarpa keinesfalls die militärischen Aktivitäten des Königshauses gebilligt: Der 10. Karmapa schreibt in seiner Autobiographie:
„Der Sechste Shamarpa sagte dem Tsangpa Desi [Herrscher] jedoch: ‚Wann haben sie endlich genug. Sie sind ein machtvoller Fürst mit so vielen Untertanen, warum greifen Sie weiterhin die kleinen Fische an?‘“[4]
Die Gelukpas ersuchten nun den Herrscher des sehr mächtigen westmongolischen Khoshot-Stammes der Oirat, Gushri Khan (1582-1655), sie militärisch zu unterstützen. Mit Erfolg.
Die verschiedenen Clans der Mongolen waren verfeindet und bekämpften sich unter Führung verschiedener Herrscher. Einer von ihnen war der König der Khalkha Mongolen, Tschoktu Taiji (1581–1637), der im Kokonor die Untertützer der Gelukpas merklich geschwächt hatte.
1635 führte sein Sohn Arslang, 10.000 Soldaten in Richtung Tibet, um dem ihrem Verbündeten, dem König von Tsang, zur Hilfe zu kommen. Gushri Khan begann sofort Verhandlungen mit ihm, in deren Folge Arslang seinen Plan aufgab, alleine nach Lhasa reiste und selbst eine Herrscher-Priester-Beziehung mit dem Dalai Lama einging „da er wahrscheinlich einsah, dass ihm Gushri Khans Truppen weit überlegen waren.“[5] Dennoch griff Gushri Khan die Khalkha 1637 an und schlug sie verheerend.
Gushri Khan machte 1638 eine Pilgerreise zum 5. Dalai Lama Lobsang Gyatso. „Da er von der Persönlichkeit des Dalai Lama tief beeindruckt war, bedurfte es wenig Zuspruch seitens des Teils der dGe-lugs-pas [Gelukpas], die nach politischer Vormacht strebten, um ihn dazu zu bewegen, seine Armeen zur Unterstützung ihrer Sache gegen den König von Tsang zu schicken.“[6] Im Gegenzug erhielt er vom Dalai Lama den Titel „Tendzin Tschöki Gyalpo“, (Dharmakönig, Halter der Lehre).
Angriff auf Kham und Tsang
Der Desi (Regent) des Dalai Lama ordnete in Beisein des Letzteren und ohne dessen Widerspruch an, die Beri zu vernichten.[7] Elliot Sperling zitiert die Autobiographie des 5. Dalai Lama, in der steht, dass der Dalai Lama allerdings persönlich die Weisung für den Angriff gab und dabei betonte, man solle keinen Widerstand der Khampas dulden.[8] 1639 eroberte Gushri Khans Armee das Ost-Tibetische Kham und brachte den Beri-König um. Die mongolischen Truppen kamen anschließend nach Zentral-Tibet, und einige von Gushri Khans Generälen besuchten den Dalai Lama.
Der wichtigste Grund für die „Einladung“ der Truppen Gushri Khans war die Entmachtung des Königs von Tsang. Die offizielle Geschichtsschreibung spricht davon, dass der der Sekretär des Dalai Lama ohne dessen Wissen dem Überfall auf Tsang zugestimmt habe. Dies scheint unzutreffend zu sein: Zwar hatte der junge Rinpoche zumindest zu Beginn noch Zweifel, ob diese militärischen Aktionen gerechtfertigt seien, billigte sie schlussendlich aber: In seiner Autobiographie schrieb er, dass er bezüglich der „Antwort auf die Handlungen der Tsangpas“ nicht als „ungehorsamer Mönch“ erscheinen wolle, „auch wenn wir Rache nehmen.“ Und weiter: „Was uns betrifft, konstatierte ich: Auf die Tugend des Bodhisattva zu vertrauen, die sich und andere gleich setzt, hat die Kämpfe nicht aufgehalten. Deswegen wird, wenn wir mit dieser Art der Heuchelei [fortfahren], nur Schande vor anderen das Ergebnis sein!“[9] Gushri Khan griff die Truppen des König von Tsang an, die sich nach Shigatse zurückzogen und dort den Eindringlingen erbitterten Widerstand entgegen brachten, sodass vorerst an einen Sieg der Mongolen nicht zu denken war. Der Sekretär des Dalai Lama bat diesen zwischen den Kriegsparteien zu vermitteln. Der Dalai Lama Lobsang Gyatso „reagierte mit unerwartetem Ärger“ und lehnte ab, „da es für eine Versöhnung nun zu spät sei.“[10]
Schwarze Magie
Lobsang Gyatso selbst unterstützte die Kampfhandlungen auf seine Art und führte einige schwarzmagische Rituale durch, um den Erfolg der Truppen Khans zu unterstützen:
„Während bei den Festungen und an anderen Orten gekämpft wurde, lud der Dalai Lama Lama Zur [den Nyingmapa-Lama Chos-dbyings rang-grol (1610-1659)] nach Drepung ein und machte mit ihm gemeinsam verschiedene magische Rituale gegen die Streitkräfte Tsangs, die jetzt als Feinde der [buddhistischen] Lehre erachtet wurden. Während dieser hatte der Dalai Lama verschiedene Visionen.“[11] Er hatte eine Vision eines riesigen Kopfes vor dem Altar, der zahllose andere verschlang – „wie Körner, die in einen Sack fallen.“ Schwarze Magie war in Tibet auch unter denen üblich, die sich Buddhisten nannten![12]
Aber man beließ es nicht bei Ritualen, sondern sandte auch Truppen zur Unterstützung der Mongolen. Gemeinsam griff man Shigatse an. Die Zahl der Toten der Armee von Tsang bei der Schlacht war enorm. Der König von Tsang musste sich ergeben, wurde gefangen genommen und später umgebracht. Kurz darauf kam es zum historischen Treffen zwischen Gushri Khan und dem 5. Dalai Lama, bei dem der Kriegsherr den Mönch zum spirituellen und politischen Oberhaupt der Tibeter ernannte. Je nach Quellen fand dieses Treffen entweder im Palast des Königs von Tsang oder sogar – voller Symbolik – noch auf dem Schlachtfeld statt. Erstere Version findet sich in dem Buch des Gelukpa Ministers Shakabpa,[13] letzteres in Sam Van Schaiks Buch „Tibet“, das neuere Forschungen berücksichtigt.[14]
Shamarpa wird erstmals Sündenbock
Nach all den Kriegshandlungen beschuldigte Dalai Lama Lobsang Gyatso später in seiner Autobiographie Shamarpa, er habe gemeinsam mit Choktu Taiji und dessen Sohn Arslang zu Beginn der 1630er Jahre „Gespräche darüber geführt, gemeinsam mit dem Herrscher von Tsang eine Regierung zu bilden, und darüber, dass Zadampa [der Mongolenstann] Lhasa und Baprongpa Reting einnehmen sollte, über Neutralität den Systemen wie den Sakyas gegenüber und darüber, wie man die Gelukpas auslöschen könnte.“[15] Als später Arslang sich Gushri Khan und den Gelukpas anschloss, habe Shamarpa und gemeinsam mit dem König von Tsang einen Brief an Arslangs Vater Tsoktu Taijai geschickt, in dem er sich erkundigte, warum Arslang gegen dessen Befehl gehandelt habe. Arslang wurde daraufhin, so die Interpretation des 5. Dalai Lama, zur Strafe umgebracht.
Die Sache hatte jedoch einen Haken: Shamarpa war damals noch nicht einmal im Schulkindalter. Peter Schwieger mutmaßt, dass der damalige Dalai Lama nicht die Sterbe- und Geburtsdaten der Shamarpas kannte.[16] Mit dem erfundenen Vorwurf gegen Shamarpa bewies der Dalai Lama, dass er sich nicht scheute, seine Autobiographie dazu zu benutzen, sein kriegerisches Handeln zu legitimieren und seine Widersacher zu diskreditieren. Der Dalai Lama, der später als Großer Fünfter bekannt werden sollte, stand unter großem Legitimationsdruck, da er nicht nur den Krieg gegen Beri, den König von Tsang, sondern auch gegen Ladakh befohlen hatte.[17] Lobsang Gyatso war nicht nur ein großer Praktizierender, sondern gleichzeitig auch ein Befürworter dieser Feldzüge und Mitbegründer des Hasses auf Shamarpa, den heute noch viele Geschichtsschreiber nachbeten. Wer könnte es auch wagen, die Worte eines Dalai Lama in Frage zu stellen?
(In diesem Zusammenhang ist interessant, dass die tibetische Geschichtsschreibung maßgeblich von W. D. Shakabpa geprägt wurde, der Minister des Kabinetts des 13. Und 14. Dalai Lama in Tibet war.)
[1] Snellgrove/Richardson 2003, S.194.
[2] Schwieger 2015, S. 40.
[3] Snellgrove/Richardson 2003, S. 195.
[4] Autobiography of the 10th Karmapa: The Biography of the Bodhisattva The Bountiful Cow, from The Collection of the Writings of the Tenth Karmapa Choying Dorje Vol 1 163-167, Szechuan Publication Committee in China Szechuan publication. zit. nach Sylvia Wong: Karmapa Prophecies Motilal Barnasidass 2010, S. 113. Als der König von Tsang starb, weigerten sich sowohl der 10. Karmapa als auch der 6. Shamarpa die Nachtodrituale auszuführen, da der König so militant gewesen war.
[5] Kappstein 2006, S. 137.
[6] Snellgrove/Richardson 2003, S. 198.
[7] Schwieger 2015, S. 65.
[8] Autobiographie des 5. Dalai Lama, zit. in. Elliot Sperling: „Orientalism« and Aspects of Violence in the Tibetan Tradition“, in: Dodin, Thierry & Raether Heinz (Hrsg.), Imagining Tibet - Perceptions, Projections, and Fantasies, Boston, 2001.
[9] Ebenda
[10] Kappstein, S. 121.
[11] dukita Vol. I, S 101b6-101a2, zit.nach: Samten Karmay, Secret Visions of the Fifth Dalai Lama, Serindia 1999, S.9.
[12] Magische Praktiken zur Bezwingung des „Feindes“ waren in Tibet üblich, Siehe: James Gentry Representations of Efficacy. The Ritual Expulsion of Mongol Armies in the Consolidation and Expansion of the Tsang (Gtsang) Dynasty, in: José Ignacio Cabezón (Hrsg.): Tibetan Ritual, Oxford University Press 2010.
[13] Shakabpa 1967, S. 111. Shakabpa war Minister der tibetischen Zentralregierung.
[14] Schaik 2011, S. 122.
[15] Schwieger 2015, S. 42.
[16] Schwieger 2015, S. 46. Der neue Shamarpa wurde erst 1649 vom 10. Karmapa gefunden.
[17] Schwieger 2015, S. 69.